Die Reichweite ist eine Kennzahl von sehr großer Bedeutung im Flugzeugentwurf, da alle Fachdisziplinen einen Einfluss auf diese Größe haben. Häufig gibt es gegenläufige Entwicklungstrends unter den Fachdisziplinen, z.B. kann die Verbesserung der Aerodynamik zu einem größeren Flugzeuggewicht führen. In diesem Fall kann mithilfe der Reichweite bewertet werden, ob die entsprechende Entwicklung lohnenswert ist. Das heisst, wenn die Maßnahmen zu einer größeren Reichweite führen, überwiegen die positiven Entwicklungstrends. Der Zugewinn an Reichweite kann direkt genutzt werden, oder in andere Vorteile umgewandelt werden, z.B. größere Nutzlast oder kleineres Tankvolumen.
Das Ziel dieses Abschnittes ist es, den Einfluss der Triebwerkskennzahlen auf die Reichweite aufzuzeigen und zu diskutieren. Zu diesem Zweck wird die Reichweitenformel zunächst hergeleitet. Hierbei wird nur auf Flugzeuge eingegangen, die einen Treibstoff benutzen und aufgrund dessen während des Fluges an Gewicht verlieren. Ferner wird lediglich der Reiseflug bei konstanter Fluggeschwindigkeit betrachtet. Als weitere Vereinfachungen werden der Anstellwinkel und der Triebwerksinstallationswinkel vernachlässigt. Dann befindet sich der Auftrieb\(L\) (lift) mit dem Gewicht \(W\) (weight) im Gleichgewicht, so wie der Widerstand \(D\) (drag) mit dem Schub \(F\):
\begin{equation}
L = W
\label{eq:auftrieb_gewicht}
\end{equation}
\begin{equation}
D = F
\label{eq:schub_widerstand}
\end{equation}
Teilt man Gl. \eqref{eq:auftrieb_gewicht} durch Gl. \eqref{eq:schub_widerstand} erhält man:
\begin{equation}
\frac{L}{D} = \frac{W}{F}
\label{eq:verh_LD_WF}
\end{equation}
\begin{equation}
F = \frac{W}{\frac{L}{D}}
\label{eq:schub_gewicht_abnahme}
\end{equation}
Als ein interessantes Zwischenergebnis aus dieser Gleichung kann festgehalten werden, dass der benötigte Schub während des Fluges mit dem Gewicht abnimmt, da die Gleitzahl \(\frac{L}{D}\) annähernd konstant bleibt. Der Treibstoffanteil am Gesamtgewicht des Flugzeugs beträgt zwischen 20 und 40%, so dass die Schubabnahme in ähnlichem Maße ausfällt.
Die Gewichtsabnahme während des Fluges entspricht dem verbrauchten Treibstoffmassenstrom:
\begin{equation}
-\frac{dW}{dt} = g \dot{m}_{f}
\label{eq:gewichtsabnahme}
\end{equation}
Mit dem spezifischen Impuls \(I_{sec}\):
\begin{equation}
I_{sec} = \frac{F}{g \dot{m}_{f}}
\label{eq:spez_impuls_sek}
\end{equation}
ergibt sich daraus:
\begin{equation}
\frac{dW}{dt} = – \frac{F}{I_{sec}}
\label{eq:gewichtsabnahme2}
\end{equation}
Einsetzen der Gl. \eqref{eq:schub_gewicht_abnahme} führt auf:
\begin{equation}
\frac{dW}{dt} = – \frac{W}{I_{sec} \frac{L}{D}}
\label{eq:gewichtsabnahme3}
\end{equation}
Die Flugdauer \(t\) lässt sich bestimmen, indem diese Beziehung nach \(dt\) aufgelöst und anschließend integriert wird:
\begin{equation}
{dt} = – I_{sec} \frac{L}{D} \frac{dW}{W}
\label{eq:flugdauer}
\end{equation}
\begin{equation}
\int_{0}^{t} {dt} = – I_{sec} \frac{L}{D} \int_{W_{g}}^{W_{g}-W_{f}}\frac{1}{W} dW
\label{eq:flugdauer2}
\end{equation}
Hierbei bezeichnet \(W_{g}\) (gross) das Gesamtgewicht beim Start und \(W_{f}\) (fuel) das Treibstoffgewicht. Die Integration ergibt:
\begin{equation}
\left [ t – 0 \right ] = – I_{sec} \frac{L}{D} \left [ \ln \left ( W_{g} – W_{f} \right ) – \ln \left ( W_{g} \right ) \right ]
\label{eq:flugdauer3}
\end{equation}
\begin{equation}
t = I_{sec} \frac{L}{D} \ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )
\label{eq:flugdauer4}
\end{equation}
Die Reichweite \(s\) ergibt sich aus der Flugdauer:
\begin{equation}
s = t v_{0}
\label{eq:reichweite_allg}
\end{equation}
\begin{equation}
s = v_{0} I_{sec} \frac{L}{D} \ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )
\label{eq:reichweite1}
\end{equation}
Diese Gleichung wird zu Ehren des französischen Luftfahrtpioniers Louis Charles Breguet die Breguet’sche Reichweitenformel genannt. Andere Schreibweisen sind:
\begin{equation}
s = v_{0} \frac{F}{g \dot{m}_{f}} \frac{L}{D} \ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )
\label{eq:reichweite2}
\end{equation}
\begin{equation}
s = v_{0} \frac{1}{g \cdot tsfc} \frac{L}{D} \ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )
\label{eq:reichweite3}
\end{equation}
Eine Schreibweise mit dem Gesamt-Triebwerkswirkungsgrad \(\eta_{all}\) lässt sich ebenfalls herleiten:
\begin{equation}
\eta_{all} = \frac{P_{F}}{\dot{Q}} = \frac{F v_{0}}{h_{low} \dot{m}_{f}}
\label{eq:gesamtwg}
\end{equation}
\begin{equation}
F v_{0} = \eta_{all} h_{low} \dot{m}_{f}
\label{eq:gesamtwg2}
\end{equation}
Einsetzen der Gl. \eqref{eq:gesamtwg2} in Gl. \eqref{eq:reichweite2} ergibt die Schreibweise mit dem Gesamtwirkungsgrad:
\begin{equation}
s = \color{blue} {\eta_{all}} \color{red} {\frac{L}{D}} \color{green} {\ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )} \frac{\color{magenta} {h_{low}}}{g}
\label{eq:reichweite4}
\end{equation}
Demnach ist die Reichweite:
- Linear abhängig vom Gesamtwirkungsgrad des Triebwerks: \(s \propto \color{blue} {\eta_{all}} \)
- Linear abhängig von der aerodynamischen Güte des Flugzeugs, d.h. von der Gleitzahl: \(s \propto \color{red} {\frac{L}{D}} \)
- Linear abhängig vom Heizwert bzw. der gravimetrischen Energiedichte des Treibstoffs: \(s \propto \color{magenta} {h_{low}} \)
- Nicht-linear, d.h. logarithmisch abhängig vom Strukturgewicht bzw. dem Leichtbau: \(s \propto \color{green} {\ln \left ( \frac{W_{g}}{W_{g} – W_{f}} \right )} \). Betrachtet man jedoch die typischen Werte der Logarithmusfunktion in der nachfolgenden Abbildung, so kann festgestellt werden, dass sich die Sensitivitäten bei Kurzstreckenflugzeugen fast linear verhalten. Demnach ist die Gewichtsreduktion in etwa gleich wichtig wie die Verbesserung der Aerodynamik und des Triebwerkswirkungsgrads. Bei Langstreckenflugzeugen ist die Sensitivität bezüglich des Gewichtes etwas geringer.